Hanno Hauenstein Pöppel: In Aleppo gewöhnt man sich an die Schüsse

Posted on March 1, 2013 by



Photo: Lensyoungdamascus

 

Bäckereien und Krankenhäuser sind beliebte Angriffsziele. Ärzte sind geflohen, der Müll bleibt liegen. Boris Niehaus hat fünf Tage lang in Aleppo fotografiert.

 

Boris Niehaus’ liebster Ort ist die Straße. Der Fotograf dokumentiert sonst Street Art: Graffitis und geklebte Bildchen. Aber für seine letzte Reportage Ende Dezember vergangenen Jahres, reiste der Berliner nach Aleppo.

Aus Aleppo, dem antiken Weltkulturerbe, der Nordmetropole Syriens, sind viele Einwohner geflohen. Wer geblieben ist, den plagen Gewalt, Stromausfälle und der Mangel an Nahrungsmitteln. Niehaus’ Bilder führen durch eine aschgraue Matschlandschaft. Er zeigt ausgebrannte Krankenwagen, Müllberge, die sich von der Peripherie ins Stadtinnere türmen und Assads Scharfschützen, die sich in der mittelalterlichen Zitadelle verschanzen.

Fünf Tage blieb der 29-Jährige mit seinem Kollegen Thomas Rasslow in Aleppo. Er hat Familie in Syrien und sein Begleiter hat gute Kontakte. Trotzdem sei die Reise ein Sprung ins kalte Wasser gewesen. “Richtig vorbereiten kann man sich nicht”, sagt der Fotograf. “Obwohl wir für alles einen Plan hatten.”

Rasslow organisiert einen sogenannten Fixer, einen Ortskundigen, der Wege, Leute und Risiken kennt. Er heißt Mahmud und bringt Niehaus, Rasslow und zwei weitere Journalisten in einem Autobus nach Aleppo. Doch vorher muss die Gruppe die türkisch-syrische Grenze passieren – ob das klappt, ist anfangs unsicher. Die FSA (Freie Syrische Armee), die den Posten bewacht, will unliebsame Berichte vermeiden, von schwarzen Listen ist die Rede. Aber nach einer kurzen Prozedur dürfen sie durch.

6.000 Menschen wollen in die Türkei

Kurz nach der Grenze stoßen sie auf ein Flüchtlingslager. Zwischen Zelten, die wie Halbmonde aus dem Platz ragen, sind Wäscheleinen gespannt. Knapp 6.000 Menschen warten hier darauf, in die Türkei aufgenommen zu werden. Niehaus erzählt von seiner Angst. Er denkt an die 35 Journalisten, die seit Beginn der Aufstände getötet wurden und an die Warnungen syrischer Freunde vor den gefürchteten Schabiha-Milizen, Assad-treuen Geheimdienstlern. Sie sollen zivil auftreten, Menschen von der Straße abfangen und foltern.

Auf der Weiterfahrt hören sie Schüsse. Niehaus gewöhnt sich später an das “diffuse Grundrauschen”. Wie die anderen trägt er schusssichere Weste und Helm. Ob Mahmud vor den Schabihas (deutsch: Geister) keine Angst habe, fragt Niehaus. Nein, antwortet der Mann, der vor den Aufständen als Englischlehrer arbeitete. Er sei unter den ersten 50 gewesen, die in Aleppo demonstriert hätten und bereits zweimal verhaftet worden, einmal für knapp drei Monate. “Nein, ich habe keine Angst. Wir Syrer sind tapfere Leute.”

“Normal reisen kann man nicht”, sagt Niehaus. Der Bus hangelt langsamer als geplant auf Schleichwegen, um nicht in die Kämpfe hineinzugeraten. Auf halber Strecke steigt eine belgische Journalistin zu. Sie berichtet von einer Militärakademie im Nachbardorf Muslimiyeh, die von der FSA eingenommen worden sein soll. Niehaus und die anderen einigen sich auf die Zwischenstation.

In Muslimiyeh sehen die Journalisten, wie die FSA Waffen, aber auch Fernseher und andere Gegenstände beschlagnahmt. Sie sprechen mit den Rebellen. Plötzlich taucht ein Kampfjet auf. Was dann passiert, dafür fehlt Niehaus lange das passende Gefühl. Der Jet wirft eine Fliegerbombe ab, die den Ort in Rauchschwaden hüllt. “Es war ohrenbetäubend laut, überall Panik.” Die Gruppe flieht in den Bus, der sie nach Aleppo und in das improvisierte Pressehaus bringt.

Auch in den Folgetagen bewegt sich Niehaus nur in Begleitung Ortskundiger oder des Fixers Mahmud. “Leere Straßen sind kein gutes Zeichen” – das lernt er schnell. Die historische Altstadt, wo früher der Basar stand, ist zu 90 Prozent von Regierungstruppen belagert. Journalisten können dort nicht hin. Die städtische Fassade wirkt wie ein zerfranster Teppich. Die Häuserfronten auf Niehaus’ Bildern sind teils so stark beschädigt, dass es aussieht, als quelle die Inneneinrichtung heraus.

Was Niehaus vom Leid der Menschen festhalten darf und was nicht, entscheidet er nicht allein. Die Zerstörung des Dar al-Schifa Hospitals etwa sei Journalisten zur Last gelegt worden, erzählt er. Bilder Verwundeter hätten international Druck erzeugt, woraufhin das Assad-Regime das Krankenhaus bombardierte. “In solche Einrichtungen wird keiner mehr reingelassen”, sagt Niehaus. Auch Produktionsstätten für Lebensmittel seien ein beliebtes Angriffsziel. Hauptnahrungsmittel ist Brot. Die Menschen tunken es in Olivenöl und Tomatensoße. Niehaus wird überraschenderweise trotzdem Einlass in eine versteckte Bäckerei gewährt. Ein Bild darf er schießen. Mehr nicht.

Alte Männer und traumatisierte Kinder – aber keine Medikamente

Abdu kümmert sich um die Insassen einer Psychatrie in Aleppo – Ärzte und Schwestern sind schon vor Monaten geflohen. Anders als die Rebellen, bittet er um Fotos. Er will Aufmerksamkeit. Niehaus schätzt: Auf 18 Räume kommen hier knapp 60 Patienten, ältere Männer und ein paar traumatisierte Kinder. Ob es Medikamente gibt, will der Fotograf wissen. Abdu, der einen gefassten Eindruck macht, nimmt die Frage nicht ernst. “Natürlich nicht”, antwortet er. “Was denkst du?”

“Grundsätzlich wollen auch viele der Rebellen Journalisten im Land”, fügt Niehaus hinzu. Aber allein in Aleppo gebe es 20 Brigarden, vier davon seien extrem islamistisch. Sie reagieren alle unterschiedlich auf die Berichterstatter.

Niehaus kommt den Rebellen sehr nahe. Er fotografiert ein spontanes Gefecht in einem zum Bunker umfunktionierten Anhänger, lässt sich selbstgebastelte Granaten zeigen, trinkt an der Feuertonne Tee mit den Kämpfern. Kaum einer von ihnen sei über 25 Jahre alt. Oft hätten die Rebellen gesagt: “Kommt morgen mit uns! Morgen nehmen wir die Stadt ein!” Doch der Kollege Rasslow hatte diese Parolen noch von seinem letzten Besuch im Ohr, und der liegt Monate zurück.

“Ich hasse Syrien”

Niehaus hört auch andere Stimmen. Einmal erkundigt sich ein junger Rebell namens Abu Dara, wie das denn sei, wenn man in Deutschland Musik studieren wolle. Niehaus weiß keine Antwort. Er fotografiert den 22-jährigen, der mit einem improvisierten Guckrohr am Fensterverschlag steht und nach Scharfschützen Ausschau hält. “Ich hasse Syrien”, sagt Abu Dara.

Nach seiner Abreise sei er zwar glücklich gewesen, endlich mit der Arbeit beginnen zu können, sagt Niehaus. Aber er ringt auch mit den Gefühlen. Er musste die eigene Todesangst aushalten und das Leid der Menschen, “das kann man nicht beschreiben, wie sich das anfühlt”.

Wenn Niehaus die Situation in Aleppo beschreibt, verwendet er Wörter wie “Pattsituation” oder “Abnutzungskrieg”. “Alle kämpfen, Schiiten, Alawiten, Christen, alle. Das ist ein Kampf der Ideologien. Und wofür?” Nach der Reise wisse er noch weniger, wer die syrische Opposition eigentlich sein soll, sagt er.

Seine Bilder jedenfalls zeigen: Der utopische Vorgriff, das Versprechen des arabischen Frühlings für Syrien, ist mumifiziert, eingeschlossen in einer Wolke aus Asche und Dreck. Abu Dara, der junge Rebell, hatte zum Abschied etwas schief vor sich hin gepfiffen und Niehaus gefragt: “Sag mal, kennst du die fünfte Symphonie?” Er sucht nach Halt, einer Stütze gegen die Resignation.

 

 

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